Internationale Kishtwar Expedition 2016 10/09/2016
Internationale Kishtwar Expedition 2016
„Erstbegehungen beeindruckender Granitgipfel inmitten des indischen Himalajas und zwar in der Kishtwar Region“, das war ein mehrjähriger Traum von mir. Doch zunächst fehlte es mir an Kletterpartnern für solch eine lange, weite und teure Expedition. Aber dieses Jahr im Vormonsun, war es dann endlich soweit, zwei meiner Freunde waren bereit für das Abenteuer.
So treffe ich Mitte Mai Tola (Cristobal Señoret Zobeck) und Max (Max Didier), Mitglieder des Mammut Team Chile, in Delhi. Wir kennen uns aus Patagonien, wo wir unseren ersten Zustieg und Versuch am Cerro Torre 2013 gemeinsam gemacht haben.
Während ich schon zum dritten Mal in Indien bin, ist es für die zwei Südamerikaner das erste Mal und so entstehen einige komische Situationen, wenn die ungestüme Südamerikanische Art auf die so traditionell geprägte Kultur Indiens trifft. Zwei vollkommen verschiedene Welten stoßen aufeinander.
Für uns geht es nach dem offiziellen Besuch beim IMF (Indian Mountain Foundation) direkt los in Richtung Himalaya. Bei 40°C verlassen wir mit unserem Minibus Delhi um nach drei langen Tagen auf zunächst völlig überfüllten, später komplett ausgesetzten Straßen Gulabgarh in der Kishtwar-Region (Jammu und Kashmir) zu erreichen. Hier endet die Straße und beginnt unser Fußmarsch. Kletterzeug, Campingzeug und Essen für sechs Leute (außer uns noch unser Koch Dawa, sein Gehilfe Pasang und der Liaison Officer) und vier Wochen müssen nun auf 15 Pferde verladen werden, mit denen wir drei Tage bis zu unserem Basislager laufen.
Kurz vor dem Basislager scheint es schon so, dass wir wieder umkehren müssen, denn ein Schneefeld versperrt den Weg. Die Pferdeführer haben Angst, dass sich ihre Tiere die Hufe brechen. Mit gutem Zureden und Wegpräparieren, versuchen sie es schließlich doch. Jedes Mal, wenn ein Pferd bis zum Bauch einbricht stockt mir der Atem. Doch sie springen schnell und ungestüm wieder heraus und wir schaffen unseren flachen Lagerplatz zu erreichen. Ich kann es kaum glauben, dass wir tatsächlich Bäume in unserem Basislager haben. Der reinste Luxus!
Dann fängt das Erkunden, Akklimatisieren und Material schleppen an. Wir richten unser ABC (Advanced Base Camp)in einem kleinen Col auf 4500m gegenüber, der imposanten Granitwände ein.
In unserer ersten Nacht fängt es heftig zu schneien an. Immer wieder müssen wir den Schnee von unserem kleinen Zelt klopfen. Zu dritt teilen wir uns ein zwei-Personen Zelt und zwei Schlafsäcke um Gewicht zu sparen. Es ist zwar eng, aber wenigstens nicht kalt. Am nächsten Morgen steigen wir höher auf, schon um 6h morgens ist die Sonne so stark, dass der Schnee bedrohlich weich wird. Wir brechen teilweise bis zur Hüfte ein und der Schnee beginnt zu rutschen. Plötzlich kommt eine bedrohliche Schneewolke auf uns zu. Zum Glück läuft sie über uns Hinweg ohne das etwas passiert, aber der Schreck ist erst einmal groß und wir steigen schnell zurück zu unserem Zelt. Es ist frustrierend, wollten wir doch endlich auf das nächst höhere Col gelangen, stattdessen sind wir zum Mittagessen wieder im Base Camp.
Es folgen einige Tage schlechten Wetters, an denen wir die Boulderblöcke im Basislager beklettern.
Wir verstehen uns gut, lachen viel, genießen das gute indische Essen und sind doch immer wieder mit unseren Gedanken bei den Granitwänden: Werden wir es schaffen dort hochzuklettern? Wird es das Wetter zulassen? Wann?
Dann drei Tage gutes Wetter, strahlend blauer Himmel und wir sind wieder in unserem ABC. Diesmal stehen wir nachts um 1h auf um das steile Couloir in gefrorenem Zustand zu überwinden und bei Sonnenaufgang schon im höheren Col zu stehen. Eine unglaubliche Stimmung und dazu ragen nun die Wände steil über uns auf. Aber zunächst haben wir ein Problem: Max und Tola spüren ihre Füße vor Kälte nicht mehr. Beängstigend, denn wir wollen uns keine Erfrierungen zuziehen. Es dauert eine Stunde bis das Gefühl zurückkehrt und ich in die erste Seillänge einsteigen kann. Endlich beginnen wir mit dem Klettern an meinen Traumwänden. Doch die Euphorie wird schnell gebremst. Es liegt noch mehr Schnee als gedacht in der Wand und vor allem er behindert uns merklich. Auf ein paar schöne Klettermeter, folgen Züge im Nassen und durch Eis und Schnee, der auf jedem kleinen Absatz liegt, bis zu einer schneebedeckten Platte, über die es keinen Weg nach oben gibt. Ich probiere, schaue und suche, doch leider ist es unmöglich und schweren Herzens muss ich mich wieder nach unten zurück seilen. Unsere Enttäuschung ist groß und die Angst, dass wir hier überhaupt nichts klettern werden breitet sich aus.
Anschließend haben wir den ganzen Tag nichts zu tun und sitzen nur rum, die Stunden wollen einfach nicht vergehen. Schrecklich dieses Warten, was doch auch immer zu Expeditionen mit dazu gehört.
Erst kurz nach Mitternacht machen wir uns wieder an den Abstieg, da dann unser Zustiegscouloir gefroren ist, um uns dann an der anderen Seite des Berges zu versuchen. Zunächst gilt es wieder ein steiles Schneecouloir zu überwinden, nicht leicht so aufgeweicht, aber dann beginnt der Genuss: Wir klettern auf bestem Granit. Zunächst sehr kompakt, wobei höchste Konzentration gefordert ist. Denn schnell stehe ich weit über meinem letzten Camalot und dieser ist noch dazu sehr klein. Aber eine andere Absicherungsmöglichkeit gibt es nicht, also vertrauen und weiter. Das sind diese Momente, in denen ich 100% fokussiert bin, jede Bewegung genau überlegt und präzise ausgeführt wird.
Es folgt eine Seillänge hinter einer gigantischen Schuppe, die mich an Längen im Yosemite erinnert und dann ein gerader Riss, der sich steil durch die Wand zieht. Zunächst handbreit, aber dann immer schmäler bis ich kaum mehr meine Fingerspitzen hineinzwingen kann, geschweige denn eine Absicherung. Trotzdem überwinde ich diese Stelle und spüre dabei ordentlich die Höhe, immerhin klettern wir hier auf deutlich über 4000m. Es folgen einige Längen im Schatten und plötzlich finden wir den Fels mit Eis überzogen, wodurch die Kletterschuhe nur rutschen. Trotzdem arbeitet sich Max Zentimeter um Zentimeter vorsichtig höher. Mir fliegen dabei am Stand die Eiszapfen um die Ohren bis er weit oben im Trockenen den nächsten Stand fixiert. Sechs Seillängen können wir erstbegehen, bevor wir wieder zurück abseilen. Der Tag war extrem lang und wir sind erschöpft. So steigen wir ins Basislager ab um neue Kräfte zu tanken und erneut auf ein stabiles Wetterfenster zu warten.
Als es dann soweit ist starten wir wieder in unsere sechs erstbegangenen Seillängen. Diesmal sind wir mit schwerem Gepäck unterwegs: Beim Vorsteigen hängen mir meine fetten Stiefel am Gurt zusätzlich zu sämtlichem Material und ich merke wie mich das ganze Gewicht runterdrückt und mir den Gurt nach unten zieht. Beim Nachsteigen tragen wir die fetten Rucksäcke mit Essen, Kocher und Schlafzeug. Die Wand ist steil und beim Höherklettern beschleicht uns die Angst keinen Schlafplatz für die Nacht zu finden. Dann plötzlich nach der 10. Seillänge eine Terrasse mit Schnee und ausreichend um unser Zelt aufzustellen. Wir sind überrascht, Erleichterung und Begeisterung macht sich breit.
Am nächsten Morgen erleben wir einen fantastischen Sonnenaufgang, wonach sich das Wetter rasant verschlechtert und wir umhüllt sind von Wolken, die Kälte mitbringen. Zudem stoßen wir schon nach einer Seillänge auf ein Hindernis: Eine Platte ohne Absicherungsmöglichkeiten versperrt den Weg. Wir probieren rechts, links, wieder etwas rechts, aber es führt kein Weg daran vorbei. Mir kommen Zweifel auf, werden wir es überhaupt auf den Gipfel schaffen? Wir waren so optimistisch nach dem Klettertag gestern und nun verlieren wir schon in der zweiten Seillänge viel kostbare Zeit. Tola setzt einen ersten Haken zur Absicherung, was mit dem Handbohrer Zeit und Kraft kostet. So löst ihn Max danach ab und begibt sich auf die exponierte Platte. Wir halten den Atem an als er immer weiter hoch klettert, versucht einen Keil zu legen, wieder abklettert und schließlich weit oben auf der Platte stehend einen zweiten Haken zur Absicherung setzt. Es folgen noch ein paar Meter und er steht auf dem rettenden Absatz, geschafft! Danach erwartet uns leicht überhängende Risskletterei, sehr kräftezehrend, aber ein voller Genuss, vor allem da wir heute leichter ohne Biwakmaterial unterwegs sind.
Anschließend neigt sich das Gelände und wir kommen schneller voran. Seillänge um Seillänge arbeiten wir uns hoch und als Tola endlich nach vielen Metern den Gipfel sichtet, ist die Freude groß. Noch eine letzte Seillänge und wir stehen im Schnee des Gipfels auf ca. 5300m, dort wo zuvor noch niemand war. Es hat etwas mythisches wie die Wolken um uns herum wabern, aber leider verwehren sie uns die Aussicht. Trotzdem genießen wir unsere Gipfelschokolade, wechseln von den Kletterschuhen auf unsere dicken Bergschuhe, endlich wieder warme Füße!, und beginnen mit dem Abseilen. Dies fordert viel Zeit und höchste Konzentration, denn wir müssen alle unsere Abseilstellen einrichten. Manchmal ist es nicht leicht einen Platz für Schlingen oder Keile zu finden. Hier ist viel Kreativität gefordert. Das Ganze wird erschwert durch einsetzten Schneefall und Donnergrollen, dass wir durch das dichte Weiß hören, aber nicht orten können.
Gleich an der ersten Abseilstelle verhängen sich meine Seilenden unter mir, weit drüben in der falschen Richtung und es fordert einiges an Seilmanövern um diese zu befreien. Zum Glück bleibt es bei diesem einem Seilverhänger. Einmal müssen wir aus Mangel an Alternative noch unseren Handbohrer auspacken, was wieder viel Kraft fordert. Mit dem letzten Licht kommen wir dann erschöpft an unserem Zelt an.
Jetzt heißt es Schneeschmelzen um wenigstens etwas unsere dehydrierten Körper zu versorgen. Dann quetschen wir uns endlich zu dritt in unseren Schlafsack. Wir können immer nur auf der gleichen Seite liegen und wenn wir uns drehen wollen, geht das nur auf Kommando, alle gleichzeitig. Trotzdem schlafen wir.
Am nächsten Morgen werden wir von bestem Wetter geweckt, seilen bis auf den Gletscher ab und steigen zu unserem Basislager herunter. Erst als wir dort wohl behalten ankommen ist unsere Erstbegehung Wirklichkeit, die gefeiert werden muss. Dazu laden wir die Italiener, die etwas weiter unten im Tal ihr Basislager aufgeschlagen haben und ihre Erstbegehung ein paar Tage später vollenden, ein die beiden Erfolge gemeinsam zu genießen.
Wir entscheiden uns unsere Erstbesteigung unserem guten Freund Iñaki Coussirat zu widmen und taufen den Berg Monte Iñaki. Unsere Tour hat 17 Seillängen mit Kletterei bis 7a in super Granit.
Anschließend können wir noch zwei kürzere Touren erstbegehen. Je fünf Seillängen klettern wir an einem kleinen Gipfel. Auch wieder in gutem Fels und noch dazu ist es so warm, dass wir im T-Shirt klettern können, auf fast 5000m! Der Sommer hält Einzug mit jedem Tag wird es wärmer, die Bäume im Tal grüner und der Schnee weniger und weicher. In unserer letzten Nacht beginnt es sogar in unserem ABC zu regnen, und zwar so heftig, dass die Feuchtigkeit sich durch die Wände unseres Zeltes drückt. Meine Daunenjacke, und -Schlafsack saugen sich voll und ich beginne die Stunden bis zum Morgengrauen zu zählen. Zudem wird der Regen von einem heftigen furchteinflößenden Gewitter begleitet, dass immer wieder direkt über uns zu sein scheint: Hell flackern die Blitze auf und dunkel grollt der Donner über uns hinweg. Die letzte Nacht wird zu einem Alptraum und ich sehne mir die morgendliche Sonne herbei. Zur großen Enttäuschung ist es morgens immer noch grau und wir müssen unsere nassen Sachen im Kalten zusammen packen. Jetzt heißt es das komplette Material runterschleppen und wir machen uns voll bepackt, extrem schwer auf unseren letzten Abstieg.
In den wenigen Tagen, die uns im Basislager bleiben, mache ich mich gemeinsam mit unserem Liaison Officer mitten in der Nacht auf zum Bugshan Peak, ein einfacher 5000er, der direkt über unserem Basislager steht. Trotzdem sind es über 2000m Höhendifferenz, aber ich fühle mich so fit, dass diese sich kaum bemerkbar machen.
Schließlich ziehen wir nach vier Wochen gemeinsam mit unseren Pferden wieder zurück ins Tal.
Auch wenn, wir andere Linien kletterten als zuvor ausgeschaut war es eine sehr erfolgreiche Expedition, ein gutes Team, super Basislager und gute Stimmung. Sicherlich eine meiner besten Expeditionen.
Wir sind nach zwei Tagen Fußmarsch dann wieder schnell im Alltag Indiens angekommen. Zwei Wochen haben wir nun noch um dieses wunderbare Land etwas mehr kennen zu lernen, bis nach Ladakh zu reisen und uns zur Erholung Yoga und Meditation zu widmen. Für mich auch ein ganz wichtiger Teil meiner Expeditionen: Die lokale Kultur und Landschaft kennen zu lernen und somit auch Respekt davor zu zeigen.
Nach zwei erlebnisreichen und bereichernden Monaten verlasse ich dann schweren Herzens wieder Indien. Auch diesmal bin ich mir sicher, dass ich bald zurückkommen möchte.
Vielen Dank an Mammut, die uns diese Expedition ermöglichte und an Julbo, Oskri, Katadyn, Leki, Petzl und Scarpa, die uns unterstützten.