Nordwände in Chamonix 06/04/2015

Grandes Jorasses Nordwand und andere Eskapaden in Chamonix

Nach meinem Erfolg am Cerro Torre ist meine Motivation riesig und lässt überhaupt nicht mehr nach. Deswegen musste ich von Lausanne aus die Nähe zu Chamonix ausnutzen um dort einige geniale Linien zu klettern.

Bei meinem ersten Besuch ist der Wind allerdings so stark, dass keine Bahnen fahren und wir somit umdisponieren müssen und nicht Klettern sondern Ski anlegen. Wind gibt es also nicht nur in Patagonien!

Bei meinem zweiten Besuch können wir dann das Super Couloir klettern, ein super Klassiker am Mont Blanc du Tacul. Leider lässt das Wetter keine längeren, grösseren Touren zu, es ist zu unsicher und instabil.

Dann endlich nach Ostern wird das Wetter richtig gut, sodass längere Touren möglich sind. Gemeinsam mit meiner Expedkader Freundin Charlie kann ich die Droites Nordwand über die Ginat klettern. Ein Klassiker, den wir beide schon lange machen wollten.

Ein sich lösender Frontzacken meines Steigeisens in der Mitte der Wand lässt mich kreativ werden und meinen Eissanduhrfädler zum Reparieren heranziehen. Denn Umdrehen wollen wir beide nicht: Die Bedingungen sind super, bisher waren wir flott unterwegs und es macht mega Spass. Wir verlieren Zeit, aber mir gelingt es das Steigeisen wieder funktionstüchtig zu machen und so setzen wir unseren langen Weg nach oben fort.

Der Abstieg südseitig ist dann noch kräftezehrend: Teilweise sacken wir bis zur Hüfte im Schnee ein und ein vorwärtskommen ist sehr mühsam. So entscheiden wir uns an der Couvercle Hütte anzuhalten und erst am nächsten Morgen auf gefrorenem Untergrund nach Chamonix abzusteigen.

Eine Woche später ist die Wettervorhersage auch schon wieder top und das sogar für mehrere Tage. Meine Motivation gilt nun der Grandes Jorasse Nordwand, die eine der drei berühmten Nordwände (neben Matterhorn und Eiger) darstellt. Ich verbringe einen ganzen Tag damit einen Kletterpartner zu finden… erfolglos. Der Frust ist gross und den ersten Schönwettertag verbringe ich in der Uni. Nachmittags dann eine erlösende SMS: Ein Kumpel eines Kumpels sucht noch einen Kletterpartner für die Jorasses. Wir sind uns schnell einig und treffen uns am nächsten Morgen an der Montenvers Bahn. Gesehen habe ich Thomas vorher noch nie, aber das stört nicht, denn die Motivation ist gross und verbindet. Wir verstehen uns auf Anhieb.

Mit Ski steigen wir bis in die Nähe des Wandfusses, wo wir unser Zelt aufbauen. Die Rucksäcke sind mal wieder extrem schwer und erinnern mich an Patagonien. Wir spuren noch zum Einstieg und geniessen dann die letzten Sonnenstrahlen bevor wir uns ein paar Stunden Schlaf gönnen. Mitten in der Nacht geht es dann schon wieder weiter: Mit Stirnlampen ziehen wir los und steigen in die Colton-MacIntyre ein. Die erste Herausforderung stellen direkt zwei Bergschründe dar, die aus ungefestigtem steilen Schnee bestehen. Danach ist das Gelände leicht und wir kommen flott vorwärts bis zum ersten Eisschlauch wo wir zum ersten Mal Seillängen sichern.

Dann geht es über ein weiteres Eisfeld an den Fuss der Schlüsselseillänge. Ich bin an der Reihe mit Vorsteigen und freue mich sehr auf diese Herausforderung. Doch es ist furchteinflössender als gedacht: Das Eis ist dünn, absichern kann ich es gar nicht und noch dazu muss man komisch nach links rausqueren in steiles, fast überhängendes Gelände. Vorsichtig arbeite ich mich Meter um Meter nach oben, immer bedacht bloss nicht zu fallen, denn dies hätte fatale Folgen. Meine Arme werden dicker und ich bin froh, als ich am Ende in flacheres Gelände komme und nach 15-20m endlich wieder eine Schraube setzen kann. Wahnsinn, was für eine Länge! Auch die Länge danach bleibt noch technisch anspruchsvoll, doch Thomas meistert sie souverän.

Nach einem weiteren Eisfeld gelangen wir dann an die Ausstiegs-Mixedseillängen, welche sehr trocken und dadurch extrem anspruchsvoll sind. Wir werden langsam und die Zeit scheint uns davon zu rennen. Aber dennoch meistern wir Seillänge um Seillänge. Die Kletterei scheint kein Ende mehr zu nehmen, wir sind müde und müssen aber noch technisch anspruchsvolle Kletterei meistern. Da hilft nur noch immer wieder Schokolade einzuwerfen um die Energie hochzutreiben. Für mich sind argentinische Alfajores und Mantecol hier der Schlüssel zum Erfolg.

Wie so oft ist der Hochweg nur ein Teil des Ganzen und die 1200m Wand müssen wir auch sicher wieder hinunter kommen. Zum Glück sind viele Abalakovs vorhanden und wir müssen nur wenige selber drehen. Wir sind extrem müde und die Konzentration lässt nach. Doch dann in der Mitte der Wand werden wir abrupt aufgeweckt. Eine Abalakov reisst aus und wir hängen plötzlich nur noch an einer Eisschraube, welche wir zur Hintersicherung gedreht hatten. Es ist nochmal gut gegangen, aber uns wird bewusst, dass wir jetzt nochmal unsere ganze Energie zusammen nehmen müssen um keine Fehler zu machen.

Es wird dunkel und den letzten Teil seilen wir mit unseren Stirnlampen ab. Der Bergschrund lässt mich meinen ganzen Mut zusammen nehmen, denn der Sprung hinüber ist weit. Zudem habe ich etwas Respekt, nachdem letzte Woche im Abstieg ein Bergschrund unter Charlie nachgegeben hat.

Am Wandfuss wartet dann die nächste Überraschung: Eine Lawine hat unsere Stöcke verschüttet und trotz Buddeln kann ich meinen leider nicht mehr finden.

Nach 24h sind wir wieder an unserem Zelt und freuen uns über etwas warmes zu trinken und zu essen. Ein langer und ziemlich anstrengender, aber genialer Tag geht zu Ende.

Zitate:

Textausschnitt 1: „Nicht nur in Patagonien kann der Wind Kletterpläne zerstören“

Textausschnitt 2: „Weder ein kaputter Helm, noch ein kaputtes Steigeisen können uns heute bremsen“

Textausschnitt 3: „Trotz Erschöpfung immer weiter zu machen und dabei konzentriert zu bleiben ist eine Kunst des Bergsteigens“

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