Cerro Torre 2015 10/01/2015

Erste freie Frauenseilschaftsbegehung des Cerro Torre

Cerro Torre, ein Berg der mit seiner weissen Sahnehaube in den blauen Himmel von el Chalten ragt, oft umhüllt von Wind und Wolken. Ein Berg um den sich viele Geschichten ranken und der keinen einfachen Normalweg besitzt, sondern von allen Seiten steil abbricht. Eine geniale Herausforderung für Alpinisten.

Für mich ist es meine dritte Saison an diesem Fleck Patagoniens und hierher zurückzukommen fühlt sich schon an wie nach Hause zukommen. Die Berge hier faszinieren mich und die Menschen sind zu meinen Freunden geworden.


Ich bin dieses Jahr mit einem grossen Traum gekommen: Die Cerro Torre Westwand zu klettern. Aber dafür brauchen wir ein langes Wetterfenster, denn der Weg dorthin ist lang. Vor zwei Jahren versuchte ich dies schon einmal mit der Französin Laure Batoz, doch wir mussten zwei Längen unterhalb des Gipfels umdrehen. Letztes Jahr war das Wetter dann so schlecht, dass wir keine Chance hatten an diesem spitzen Berg zu klettern. Auch das ist die patagonische Realität, die man nicht beeinflussen und vorhersagen kann.

Aber dieses Jahr schaut das Wetter viel besser aus und so kann ich gemeinsam mit meiner slovenischen Freundin Nastja Davidova kurz nach meiner Ankunft schon über die Tour Claro di Luna auf die St Exupéry klettern, eine fantastische Granit Route. Zurück in el Chalten stösst dann auch Chrissi (Christina Huber), mit der ich gemeinsam im Expeditionskader war, zu uns. Nun heisst es wieder Wetter checken warten und dann entscheiden, wann das Wetter gut genug scheint um einen Versuch zu wagen. Die Rucksäcke sind vorsichtshalber schon einmal gepackt, um im richtigen Moment loslaufen zu können. Diesen zu finden ist nicht leicht, denn verschiedene Wettermodelle zeigen uns unterschiedliche Vorhersagen und ganz stabil ist das Wetter nicht. Zum Glück coacht uns Rolo, der Führerautor und erfahrene Kletterer der Region, die verschiedenen Modelle zu analysieren. Nach ein paar Tagen scheint es uns dann gut genug, um einen Versuch zu wagen: Wir schultern die Rucksäcke und laufen los. Am ersten Tag ist der Wind noch zu stark um auf das Inlandeis zu gehen, sodass wir unterhalb des Paso Marconi an der sogenannten „Playita“ unser Zelt aufschlagen.

Am nächsten Morgen laufen wir dann in der Dunkelheit los in Richtung Gletscher und Paso Marconi, welcher uns unendlich erscheint. Er bildet unser Tor zu einer noch unendlicheren Weite: Dem Inlandeis.
Vier Stunden laufen wir über diese einsame Flache Ebene und sind froh unsere Schneeschuhe dabei zu haben, bis wir dann zum ersten Mal den Cerro Torre erblicken können. Bei bestem Wetter erstreckt er sich majestätisch in den Himmel und nährt unsere Motivation.

Wir schlafen im Circulo de los altares am Filo rosso bei Windstille. Von dort beginnen wir am nächsten Morgen unseren Aufstieg über Gletscher und Fels zum Col de la Esperanza, wobei wir schon klettern müssen. Dort erwartet uns dann eine grosse Überraschung: Zu dem Col seilen sich gerade drei Personen ab, die wir wenig später als unsere slowenischen Freunde Luka Krancj, Luka Lindic und Tadej Kriselj identifizieren. Sie haben die Adela Traverse geklettert und sind nun auch auf dem Weg zu einem super Biwakplatz unterhalb des Elmos. Dort können wir inmitten dieser bizarren Formationen ohne Schuhe sitzen und die windstille Umgebung geniessen. Dies entspricht so gar nicht den grausam kalten Vorstellungen des Torres. Noch dazu haben die Slovenen Musik dabei und die Stimmung ist super, es fühlt sich irreal an.

Am nächsten Morgen starten wir dann bei Dunkelheit hoch auf den Elmo, welcher die erste Anraumseillänge darstellt und uns einen Wing auf unseren Eisgeräten benutzen lässt. Immerhin haben wir sie somit nicht umsonst hierher getragen. Wir klettern flott und beginnen die Mixedseillängen noch in der Dunkelheit. Dabei profitieren wir davon, dass ich die Route in diesem Teil schon kenne und die Orientierung stellt kein Problem dar. Etwas später verfärbt sich der Himmel rosa und der erste Anblick ist wunderschön: Uns umgibt ein Wolkenmeer aus dem nur wenige schneebedeckte Berge auf dem Inlandeis ragen. Dieses Bild wir noch verbessert durch den Schatten des Cerro Torre, der sich auf dem Wolkenmeer bildet. Er ist umrahmt von einem heiligen Schein, ein magischer Anblick. Weit unter uns können wir die drei Jungs erblicken, die sich ihren Weg durch die Eisformationen bahnen.

In Wechselführung erreichen wir die Headwall, den steilsten Teil der Route. Eineinhalb Seillängen senkrechtes Eis, der Wahnsinn. Chrissi legt einen beeindruckenden Vorstieg vor und so folge ich ihr mit immer dicker werdenden Armen. Als ich bei ihr am Stand ankomme, haben wir beide ein breites Grinsen. Juhuuu, wir konnten diese Seillänge beide frei klettern und punkten.

Nun geht es weiter durch die berühmten Gipfeleispilze, drei an der Zahl. Nach einer langen Seillänge erreichen wir eine Schulter und können einen Blick auf das ganze Fitzroy-Massiv erlangen. Wir sind zum ersten Mal in der Sonne und geniessen ihre wärmenden Strahlen. Vor zwei Jahren bin ich genau hier umgedreht, aber diesmal geht es weiter nach oben, unsere Motivation ist noch immer riesig. Zu unserer Freude wird die nächste Seillänge durch einen Tunnel geformt, in dem wir empor klettern. Beeindruckend! Anschliessend erlangen wir dann einen Blick auf die berühmt-berüchtigte letzte Seillänge, die oft die Crux der Tour birgt: 60m senkrechter Anraum. Doch wir haben Glück, denn die Seillänge wurde dieses Jahr schon mehrfach geklettert und so finden wir Stufen in dem losen Schnee. Aber zunächst müssen wir noch einige Meter sehr ausgesetzt unter die Halfpipe dieser Länge klettern. Dann schwinge ich meine Pickel und arbeite mich vorsichtig Meter um Meter durch diesen delikaten Schnee. Nach acht Metern stosse ich dann auf etwas Eis und kann eine Eisschraube setzen. Sie ist nicht optimal, hilft aber psychisch. Stück für Stück arbeite ich mich weiter nach oben bis ich schliesslich den Tunnel erreiche, in den ich mich hineinkeilen kann. Dies löst bei mir mitfühlende Gedanken an Chrissi aus, denn sie muss durch diesen Kamin sich irgendwie mit unserem Rucksack durcharbeiten. Tja und dann stehen wir schliesslich auf dem obersten Schneepilz und damit auf dem Gipfel des Cerro Torre bei tollstem Wetter. Der Blick ist weit auf das ganze Massiv und ganz hinten können wir el Chalten erspähen. Der Weg dorthin ist noch weit. Wir sind überglücklich, wissen aber auch, dass noch ein langer Abstieg auf uns wartet. So stärken wir uns nur kurz auf dem Gipfel und beginnen dann das Abseilen an Firnankern und Abalakovs, die teilweise vorhanden sind und teilweise von uns gedreht werden müssen. An der Headwall treffen wir unseren kanadischen Freund Marc-André, der die Corkscrew Route solo klettert. Wir freuen uns ihn zu sehen, aber sind doch etwas besorgt ihn so ganz ohne Seil klettern zu sehen.

Am Elmo schmelzen wir etwas Schnee um unseren müden Körpern Flüssigkeit zu zuführen und setzen dann unseren Abstieg fort zum Col de la Esperanza und bis zum circulo de los alatres, wo wir kurz nach Mitternacht ankommen. Dort essen wir etwas, schlafen eine Stunde in unserem nassen Zelt und brechen dann erneut auf. Wir wissen, dass der Wind gegen Mittag zunehmen soll und wollen dann auf jeden Fall vom Inlandeis herunter sein. Zu unserer überraschung ist der Wind allerdings schon ziemlich stark als wir loslaufen und noch stärker als wir aus dem Circulo auf das Inlandeis hinaus kommen. Uns schiessen Fragen in den Kopf: „Können wir 4h gegen diesen Wind zum Paso Marconi laufen? Was ist wenn der Wind stärker wird? Schaffen wir es dann überhaupt über den Pass?“ Letztendlich entschliessen wir uns zum Paso del Viento zu laufen, da wir somit den Wind im Rücken haben. Allerdings kennen wir beide nicht den Weg und unsere kopierte Karte ist mehr schlecht als recht. So enden wir zwischen riesigen Spalten, in denen wir zwei Stunden bei starkem Wind umher irren. Wir merken wie es immer später wird und wir immer mehr Zeit verlieren. Der Wind ist teilweise so stark, dass wir nicht mehr laufen können oder er uns zur Seite taumeln lässt.. Wir bekommen es mit der Angst zu tun, denn wir wissen nicht ob wir es mit diesem Wind über den Paso del viento schaffen und ein Zelt können wir hier nicht aufbauen, denn dies würde den starken Böen nicht standhalten. Noch dazu verlieren wir den Weg und es dauert eine genze Weile bis wir wieder Steinmänner finden. Hoffentlich führen sie uns in die richtige Richtung. Wir erleben hier die Kraft des patagonischen Wetters während der Weg uns über Moränen auf und ab führt. Wir sind froh als wir schliesslich den Pass erreichen können und der Wind dort nachlässt. Doch es liegt noch immer ein langer Weg vor uns. Wir stellen uns vor, dass es jetzt nur noch bergabwärts oder eben daher geht, so wie auch am Paso Marconi. Doch wir werden enttäuscht und müssen unsere fetten Rucksäcke auch immer wieder bergauf schleppen. Unsere Rücken and Füsse beginnen immer mehr zu schmerzen, doch wir wollen nicht mehr anhalten, bevor wir nicht in el Chalten sind. So laufen wir weiter selbst als es dunkel wird und müssen immer wieder mit Windböen kämpfen. Doch auch diese können uns jetzt nicht mehr einschüchtern, unser Wille ist stark und so erreichen wir dann nach 20h laufen (und 48h mit nur einer Stunde Schlaf) kurz nach ein Uhr el Chalten. Sehr müde, aber zufrieden und glücklich: Wir haben uns einen grossen Traum erfüllt!

Danke an Mammut, Marmot und Katadyn für ihre Unterstützung um diesen Traum zu realisieren.

Bilder:

Christina Huber, Luka Lindic und Caro North

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